Die Ballade

Der Zauberlehrling
von Johann Wolfgang von Goethe

  1. Hat der alte Hexenmeister
    Sich doch einmal wegbegeben!
    Und nun sollen seine Geister
    Auch nach meinem Willen leben.
    Seine Wort’ und Werke
    Merkt’ ich und den Brauch,
    Und mit Geistesstärke
    Tu’ ich Wunder auch.

    Walle! walle!
    Manche Strecke,
    Dass zum Zwecke
    Wasser fließe,
    Und mit reichem, vollem Schwalle
    Zu dem Bade sich ergieße!

  2. Und nun komm, du alter Besen!
    Nimm die schlechten Lumpenhüllen!
    Bist schon lange Knecht gewesen;
    Nun erfülle meinen Willen!
    Auf zwei Beinen stehe,
    Oben sei ein Kopf,
    Eile nun und gehe
    Mit dem Wassertopf!

    Walle! walle!
    Manche Strecke,
    Daß zum Zwecke
    Wasser fließe,
    Und mit reichem, vollem Schwalle
    Zu dem Bade sich ergieße!

  3. Seht, er läuft zum Ufer nieder!
    Wahrlich! ist schon an dem Flusse,
    Und mit Blitzesschnelle wieder
    Ist er hier mit raschem Gusse.
    Schon zum zweiten Male!
    Wie das Becken schwillt!
    Wie sich jede Schale
    Voll mit Wasser füllt!

    Stehe! stehe!
    Denn wir haben
    Deiner Gaben
    Voll gemessen! –
    Ach, ich merk’ es! Wehe! wehe!
    Hab’ ich doch das Wort vergessen!

  4. Ach, das Wort, worauf am Ende
    Er das wird, was er gewesen.
    Ach, er läuft und bringt behände!
    Wärst du doch der alte Besen!
    Immer neue Güsse
    Bringt er schnell herein,
    Ach! und hundert Flüsse
    Stürzen auf mich ein.

    Nein, nicht länger
    Kann ich’s lassen;
    Will ihn fassen.
    Das ist Tücke!
    Ach! nun wird mir immer bänger!
    Welche Miene! welche Blicke!

  5. O, du Ausgeburt der Hölle!
    Soll das ganze Haus ersaufen?
    Seh ich über jede Schwelle
    Doch schon Wasserströme laufen.
    Ein verruchter Besen,
    Der nicht hören will!
    Stock, der du gewesen,
    Steh doch wieder still!

    Willst’s am Ende
    Gar nicht lassen?
    Will dich fassen,
    Will dich halten
    Und das alte Holz behände
    Mit dem scharfen Beile spalten!

  6. Seht, da kommt er schleppend wieder!
    Wie ich mich nur auf dich werfe,
    Gleich, o Kobold, liegst du nieder;
    Krachend trifft die glatte Schärfe.
    Wahrlich! brav getroffen!
    Seht, er ist entzwei!
    Und nun kann ich hoffen,
    Und ich atme frei!

    Wehe! wehe!
    Beide Teile
    Stehn in Eile
    Schon als Knechte
    Völlig fertig in die Höhe!
    Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!

  7. Und sie laufen! Nass und nässer
    Wird’s im Saal und auf den Stufen:
    Welch entsetzliches Gewässer!
    Herr und Meister! hör mich rufen! –
    Ach, da kommt der Meister!
    Herr, die Not ist groß!
    Die ich rief, die Geister
    Werd ich nun nicht los.

    „In die Ecke,
    Besen, Besen!
    Seid’s gewesen!
    Denn als Geister
    Ruft euch nur, zu seinem Zwecke
    Erst hervor der alte Meister.“


Zum Inhalt


Die Fotostrecke


...

Der Hexenmeister geht.

...

Zauberlehrling: "Endlich allein!".

...

Der Zauberlehrling verzaubert den Besen.

...

Der Besen erwacht zum Leben. Zauberlehrling: "Mein Zauber funktioniert!"

...

Der Besen befüllt den Kessel mit Wasser.

...

Der Besen holt wieder Wasser vom Fluss.

...

Der Kessel ist voll Wasser.

...

Zauberlehrling: "Stopp!" - vergeblich

...

Zauberlehrling: "Oh Nein! Soll das ganze Haus ersaufen?"

...

Der Zauberlehrling schlägt den Besen nieder...

...

...und zerteilt ihn in zwei Teile.

...

Der zweite Besen wird lebendig.

...

Zauberlehrling: "Helft mir!"

...

Zauberlehrling: "Entschuldigung für meinen Hochmut."

...

Hexenmeister: "Stopp!"

...

Der Zauber ist beendet.

Meine Dokumentation

Der Titel der Ballade ("Der Zauberlehrling") verweist auf die Hauptperson der Ballade, den Zauberlehrling. Die Strophen 1 bis 6 bestehen aus einem Monolog mit den Gedanken, Gefühlen und Zaubersprüchen des Zauberlehrlings. Der Zauberlehrling ist also der lyrische Sprecher der Ballade. Das ist auch an den verwendeten Ich-Formen zu erkennen. Zum Beispiel in Strophe 1, Zeile 8 ("Tu ich Wunder auch.") und in Strophe 3, Refrain Zeile 5 ("Ach, ich merk es."), sowie in Strophe 4, Refrain Zeile 5 ("Ach, nun wird mir immer bänger."). An diesen Stellen kann man sehr gut nachempfinden, wie es dem Zauberlehrling geht.

Erst in der letzten Strophe ändert sich die Erzählperspektive. Es erscheint der Meister des Zauberlehrlings und hält einen Monolog in Form eines Zauberspruches.

Wenn die Ballade in der Er-Perspektive geschrieben wäre, würde sich die Wirkung auf den Leser stark ändern. Zum Beispiel:

Ich-Form

Nein, nicht länger
Kann ich’s lassen;
Will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird mir immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

Er-Form

Nein, nicht länger
Kann er’s lassen;
Will ihn fassen.
Das ist Tücke!
Ach! nun wird ihm immer bänger!
Welche Miene! welche Blicke!

Ich finde, dass die Ich-Form für den Leser wesentlich mitreißender und nachvollziehbarer ist, da man sich besser in die Situation des Zauberlehrlings hineinversetzen kann. Der Leser kann die Ballade besser miterleben und ist so am Geschehen näher dran.

In allen sieben Strophen wird die gleiche Reimform verwendet. Es handelt sich um jeweils vier Kreuzreime in einer Strophe. Das Muster der Kreuzreime lautet ababcdcd. Ein Beispiel anhand der ersten Strophe:

  1. ...Hexenmeister (a)
  2. ...wegbegeben (b)
  3. ...Geister (a)
  4. ...leben (b)
  5. ...Werke (c)
  6. ...Brauch (d)
  7. ...Geistesstärke (c)
  8. ...auch (d)

Nach jeder achtzeiligen Strophe folgt immer ein sechszeiliger unterschiedlicher Refrain, welcher eine komplizierte Reimform aufweist. Diese besteht aus der Abfolge effgeg. Dabei handelt es sich um einen umarmenden Reim (e), einen Paarreim (f) und einen Kreuzreim (g). Beispiel:

  1. ...walle (e)
  2. ...Strecke (f)
  3. ...Zwecke (f)
  4. ...fließe (g)
  5. ...Schwalle (e)
  6. ...ergieße (g)

In allen Strophen und auch den unterschiedlichen Refrains wird das Metrum, also das Versmaß "Trochäus" benutzt. Das bedeutet, dass die Zeile immer mit einer betonten Silbe beginnt, auf die dann eine unbetonte Silbe folgt. Dieses Schema wird über die ganze Ballade so fortgesetzt und wird auch nicht durch Unregelmäßigkeiten im Metrum unterbrochen.

Wortwahl:

In der Ballade gibt es keine Wortneuschöpfungen (Neologismus). Die einzige Ausnahme ist das Wort "Lumpenhüllen" in Strophe 2, Zeile 2. Das Wort soll verdeutlichen, dass es sich hier nur um einen alten Besen handelt, aus dem der Zauberlehrling mit seinem Zauber einen Hexenbesen machen will.

Außerdem bezeichnet er den alten Besen auch als "Knecht" (Strophe 2, Zeile 3). Diese abwertende Wortwahl zeigt der Zauberlehrling auch gegenüber seinem Meister, den er "alten Hexenmeister" (Strophe 1, Zeile 1) nennt.

Da die Verzweiflung des Zauberlehrlings zunehmend steigt, verändert sich auch seine Wortwahl. Ab dem Ende der 3. Strophe häuft sich das Wort "Ach". Daran ist zu erkennen, dass die Angst des Zauberlehrlings immer größer wird. Erst in der letzten Strophe ändert sich die Wortwahl des Zauberlehrlings erneut, als er ehrfürchtig nach seinem "Herr und Meister" (Strophe 7, Zeile 4) ruft. Darin zeigt sich auch, dass der Zauberlehrling seine Selbstüberschätzung zu Beginn der Ballade erkannt hat.

In der Ballade findet man auch Alliterationen, also aufeinanderfolgende Wörter mit dem gleichen Anfangsbuchstaben. Beispiele dafür sind:

  • "Wort und Werke" (Strophe 1, Zeile 5)
  • "zum Zwecke" (Strophen 2 und 3, Refrain, Zeile 3)
  • "Nass und Nässer" (Strophe 7, Zeile 1)

Diese Alliterationen wirken durch die Wiederholungen der Buchstaben fast wie Zaubersprüche und man kann sich die Textstellen gut merken.

Ganz besonders auffällig sind die verwendeten Anaphern. Das sind die sich wiederholenden Wörter an Satz- bzw. Versanfängen. Beispiele hierfür sind:

  • "Walle! walle!" (Strophen 1 und 2, Refrain, Zeile 1)
  • "Stehe! stehe!" (Strophe 3, Refrain, Zeile 1)
  • "Wehe! wehe!" (Strophe 6, Refrain, Zeile 1)

Dabei unterstützen die Anaphern die Wirkung der Zaubersprüche.


Sprachliche Bilder:

In der Ballade werden mehrere Metaphern als sprachliche Bilder verwendet. In Strophe 4, Zeilen 7 und 8 heißt es: "Ach! und hundert Flüsse stürzen auf mich ein". Der Zauberlehrling meint damit, dass der Kessel überläuft und große Wassermassen sich im Haus verteilen. Hier sind "hundert Flüsse" nicht wörtlich gemeint.

Häufiger finden sich auch Personifikationen in der Ballade. Gegenständen werden also menschliche Eigenschaften zugeordnet. Dies erfolgt in Strophe 2, Zeile 3. Der Zauberlehrling sagt zum Besen "Bist schon lange Knecht gewesen". Dem Besen werden hier also Eigenschaften eines Knechts zugeteilt.

Ein weiteres Beispiel findet sich in Strophe 5, Zeile 1. Hier nennt der Zauberling den Besen: "Du Ausgeburt der Hölle!". Dem Besen werden also teuflische Eigenschaften zugesprochen.

Ein weiteres Beispiel findet sich in Strophe 6, Zeile 3. Der Zauberlehrling will den Besen spalten, um den Zauber zu beenden und sagt: "Gleich, o Kobold, liegt du nieder". Hier wird der Besen mit einem Kobold gleichgesetzt.

Durch die Metaphern und Personifikationen wird die Ballade für den Leser sehr lebendig. Der Besen beziehungsweise das Wasser werden hierbei nicht gegenständlich dargestellt, sondern lösen durch die menschlichen Eigenschaften Gefühle beim Leser aus. Die Ballade wikt dadurch interessanter und spannender.


Klangeffekte:

"Der Zauberlehrling" beinhaltet wiederkehrende in den unterschiedlichen Refrains harte Konsonanten, zum Beispiel:

  • Strecke - Zwecke (Strophen 1 und 2, Refrains, Zeilen 2 und 3)
  • Tücke - Blicke (Strophe 4, Refrain, Zeilen 4 und 6)
  • halten - spalten (Strophe 5, Refrain, Zeilen 4 und 6)
  • Knechte - Mächte (Strophe 6, Refrain, Zeilen 4 und 6)
  • Ecke - Zwecke (Strophe 7, Refrain, Zeilen 1 und 5)

Diese harten Konsonanten verleihen den Zaubersprüchen einen starken Ausdruck und viel Ernergie. Sie sind außerdem für den Leser sehr einprägsam.


Rhetorische Mittel:

Als sprachliche Gestaltungsmittel finden sich auch zwei rhetorische Fragen in der Ballade. Es wird keine Antwort auf diese Scheinfragen erwartet. Sie werden nur gestellt, damit die Aussage des Zauberlehrlings betont wird und sich aus der Ballade hervorhebt.

  • "Soll das ganze Haus ersaufen?" (Strophe 2, Zeile 2)
  • "Willst am Ende gar nicht lassen?" (Strophe 5, Refrain, Zeilen 1 und 2)

Durch diese rhetorischen Fragen soll deutlich werden, dass der Zauberlehrling sich das Ende des Zaubers wünscht.

Manchmal spricht der Zauberlehrling den Leser direkt an, zum Beispiel in Strophe 3, Zeile 1: "Seht, er läuft zum Ufer nieder!". Auch in Strophe 6, Refrain, Zeile 6 bitte er im Imperativ um Hilfe: "Helft mir, ach! ihr hohen Mächte!". Damit wird erreicht, dass der Leser sich mit einbezogen fühlt und den Gedanken des Zauberlehrlings besser folgen kann.

Die Ballade "Der Zauberlehrling" wurde im Jahr 1797 - dem sogenannten "Balladenjahr" - von Johann Wolfgang von Goethe geschrieben und im Jahr 1798 in Friedrich Schillers "Musen-Almanach" veröffentlicht.

Johann Wolfgang von Goethe lebte von 1749 bis 1832 und ist einer der bekanntesten deutschen Dichter und Denker. Neben dem Zauberlehrling zählen auch der Roman "Die Leiden des jungen Werther", das Drama "Faust" und die Ballade "Erlkönig" zu seinem wichtigsten Werken. Goethe war auch in der Politik und Naturwissenschaft sehr erfolgreich und wurde deshalb auch als "Universalgenie" bezeichnet. Er wurde in Frankfurt am Main geboren, absolvierte später sein Jurastudium in Leipzig, lebte, arbeitete und starb in Weimar. Neben Goethes Arbeit als Autor begann er 1780 seine Forschungen in der Naturwissenschaft, wurde 1782 als Finanzminister angestellt und adlig gesprochen. 1791 wurde er am Hoftheater in Weimar als Direktor angestellt. Er hatte zusammen mit seiner Frau Christiane Vulpius einen gemeinsamen Sohn.

Goethe und Friedrich Schiller verband eine enge Freundschaft. Sie tauschten sich oft in Briefen und Besuchen über ihre Literatur aus. In dem "Balladenjahr" 1797 konkurrierten sie miteinander und schrieben viele Balladen, um herauszufinden, wer wohl der bessere Dichter war. Zusammen mit Martin Wieland und Gottfried Herder gelten sie als Gründer der Epoche "Weimarer Klassik".

Die Weimarer Klassik dauerte von 1786 bis 1832 und schloss sich an die Zeit der Aufklärung und dem Sturm und Drang an. Besonderen Einfluss auf diese Epoche hatte die Französische Revolution im Jahr 1789. Es gab in dieser Zeit viele gesellschaftliche Umbrüche und Veränderungen. Die Aufgabe der Literatur in der Weimarer Klassik war es, die Ideale der Epoche an die Mneschen zu vermitteln. Die Vernunft und Ordnung standen im Vordergrund. Gefestigte gesellschaftliche Strukturen und Autoritäten sollten erhalten bleiben.

Die Ballade "Der Zauberlehrling" spiegelt das Gedankengut der Weimarer Klassik" wieder. Goethe will in der Ballade zum Ausdruck bringen, dass das Anerkennen von Autoritäten, wie eben dem Hexenmeister, Bedeutung hat und nicht das selbständige und eigenmächtige Handeln eines Lehrlings. Dies führt, wie die Ballade zeigt, ins Chaos. Erst die Besinnung auf die ursprüngliche Ordnung rettet die Situation. In diesem Sinne hat die Ballade eine belehrende Funktion. Die Menschen sollen sich nicht selbst überschätzen, sondern sich den gesellschaftlichen Strukturen anpassen.